Hallo, zusammen!
Im Forum findet man einiges an gruseligen Geschichten und Erfahrungen mit Airlines, aber ich konnte keinen Beitrag entdecken, der sich allgemein mit der Frage der Fluggastrechte beschäftigt. Diese Dinge interessieren wohl jeden, der schon einmal einen unschönen Reiseverlauf wegen einer Anullierung oder heftigen Verspätung erlitten hat. Alle Fluggesellschaften ohne Ausnahme werfen nicht mit Entschädigungszahlungen um sich - das dürfte auf der Hand liegen. Selbst in juristisch recht eindeutigen Situationen ist es beliebte und offensichtlich auch erfolgreiche Taktik, den Passagier zu zermürben mit Hinhalten, Ausreden und inhaltsleeren E-Mails, um eine Entschädigungszahlung zu vermeiden. Und ...sie kommen in sehr vielen Fällen damit durch.
Ist der Urlaub erst einmal angetreten oder auch schon längst vorbei, dann sind die Strapazen der Reise, verursacht durch Flugunregelmäßigkeiten, längst verdaut und vergessen und viele scheuen den Aufwand. Genau damit wird kalkuliert und die Rechnung geht auf. Am Ende unterlässt der genervte Fluggast weitere Anstrengungen, um zu seinem guten Recht zu kommen, und die Airline kann sich wieder darüber freuen, dass sie keine Entschädigung zahlen musste, Ich kann nur dazu aufrufen, sich das nicht gefallen zu lassen.
Die Staffelung der Entschädigung und die Veraussetzungen dafür lassen sich bequem auf den Seiten der EU nachlesen. Ist eine Flugreise 3 Stunden oder mehr verspätet, lockt eine Entschädigung. Je nach Flugstrecke innerhalb oder nach/von außerhalb der EU gibt es pro Passagier 250 oder 400 oder sogar 600 EUR! Die Verordnung der Passagierrechte halte ich für kundenfreundlich und die Gerichte entscheiden im Zweifelsfall oft zugunsten des Passagiers, da die allgemeine Verzögerungs- und Verschleierungstaktik der Fluggesellschaften auch bei den Justizbehörden bekannt ist.
Gerade habe ich in genau solch einer Sache einen Rechtsstreit gewonnen. Die Sachlage, als Beispiel für eine Kombination aus diversen Faktoren, von denen nur einer nicht in Verantwortung der Fluggesellschaft lag:
Im Frühjahr 2018 wollten wir zu zweit von Düsseldorf über Frankfurt an die Westküste der USA fliegen. Es war eine Umsteigezeit von ca. 1:40 Minuten in FRA für das Umsteigen in unserem Reiseplan enthalten, also eigentlich ausreichend Zeit. Nach unserem pünktlichen Eintreffen am Gate im unteren Geschoss des Terminals wurde klar, dass das Flugzeug, eine Airbus 319, auf einer Außenposition stand, Kurz danach überbrachte man die Nachricht, dass sich der Abflug verzögern werde wegen Gewitter in Frankfurt. Das Unglück nahm seinen Lauf.
Der Start war planmäßig für 8:40 Uhr vorgesehen, nach einigen Minuten hieß es aber, dass der Abflug nun für 9:15 Uhr vorgesehen sei und dass man nun mit dem Einsteigen beginnen werde. Es schloss sich eine fast vorhersehbare Kette von Versäumnissen an.
- da schlagartig in alle wartenden Flugzeuge eingestiegen werden sollte, gab es keine Busse
- als endlich Busse verfügbar waren, das Einsteigen verspätet beendet wurde, stellte man fest, dass das Hilfstriebwerk defekt war,
- ein autonomes Anlassen der Triebwerke war daher nicht möglich, ein mobiler Air Starter war zunächst nicht verfügbar
- nach Eintreffen des Gerätes und Anlassen der Triebwerke war kein Pushback-Fahrzeug verfügbar, um das Flugzeug zu schieben.
Wir landeten also in Frankfurt ungefähr 20 Minuten NACH dem Abflug unseres Anschlussfluges Richtung US-Westküste, und es trafen E-Mails und SMS der Fluggesellschaft ein, dass man uns auf eine Partnerairline umgebucht habe, und zwar über die Ostküste inklusive 5 Stunden Aufenthalt und Weiterflug von der Ost- nach der Westküste. Den US-Inlandsflug legten wir zudem in der letzten Reihe einer komplett ausgebuchten Boeing 737-800 zurück in nicht zurückklappbaren Sitzen mit einem orthopädisch aberwitzigen Sitzabstand, den man ohne zu übertreiben als Körperverletzung einstufen kann. Mit gut 10 Stunden Verspätung kamen wir an unserem Zielflughafen an der US-Westküste an und befanden uns in einem entnervt-erschöpften Zustand.
Sogleich am nächsten Tag begann ich den Reklamationsprozess, in dem ich auf der Airline-Website die Erstattung von 2 x 600 EUR einforderte. Nach einigen Wochen (!!!) erhielt ich die Antwort, dass ein Gewitter der Grund für diese Verspätung gewesen sei, also ein Naturphänomen, das sich der Verantwortlichkeit der Fluggesellschaft entzöge. Man offerierte uns als "Kulanz" eine Einladung zum Essen und überwies dafür 100 EUR. Dass aber die ursprüngliche Verspätung von lediglich 35 Minuten überhaupt nicht zum Verpassen unseres Anschlussfluges geführt hätte, spielte offenbar keine Rolle. Allein die Versäumnisse technischer Art und der Bodendienste führten letzlich zu unserer Umbuchung. In einer weiteren Mail setzte ich eine Zahlungsfrist mit der Forderung von 1.200 EUR unter erneuter Nennung der wahren Verspätungsgründe. Es erfolgte keine Reaktion mehr von Seiten der Airline.
Anlässlich des sehr chaotischen Flugsommers 2018 sah ich in einer Fernsehreportage ein Interview mit einem Reiserechtsanwalt aus Wiesbaden, der sich auf Klagen gegen Fluggesellschaften spezialisiert hatte. Diese Einblicke ermunterten mich, genau diese Kanzlei zu kontaktieren. Der Anwalt bewertete meine Erflgsaussichten als ausgesprochen gut: er gab an, die Gerichte würden die Verspätungsgründe gewichten und in meinem Fall lägen zweifelsfrei Versäumnisse der Fluggesellschaft und der Bodendienste vor und die genannte Begründung "Gewitter" habe keinen maßgeblichen Einfluss gehabt. Ich beauftragte also die Kanzlei mit der Klage und überwies dann Gerichts- und Anwaltskosten von ca. 500 EUR.
Am 2. Januar 2018 erhielt ich die erfreuliche Nachricht, dass die "Beklagte" (also die Fluggesellschaft) sich aus - wörtlich - "prozessökonomischen Gründen" bereit erkläre, die geforderte Zahlung zu leisten einschließlich der von mir gezahlten Prozesskosten. Sechshundert EUR haben oder nicht haben - je nach Reiseziel und Ansprüchen ist dieses ja schon fast ein netter Kurzurlaub, oder?
Ich möchte also alle dazu ermuntern, sich von den mageren Ausreden der Fluggesellschaften nicht abschrecken zu lassen. Das ist alles nichts weiter als perfide Geschäftstaktik. Hat man eine Rechtsschutzversicherung, die das Reiserecht einschließt, muss man sich über eventuelle Verfahrenskosten keine Sorgen machen. Ansonsten legt man die Kosten aus - wobei natürlich immer ein gewisses Restrisiko bleibt, jedoch wird jeder renommierte Reiserechtsanwalt immer zunächst eine professionelle Analyse des Sachverhalts vornehmen und auch nur dann zur Klage raten, wenn gute Aussichten auf Erfolg bestehen. Eine reiseerfahrene Kollegin kommentierte heute: "Was für ein Wunder, die (Fluggesellschaft) verlieren immer vor Gericht."
Was soll man also wünschen für 2019? "Bleibt streitbar!"