Ein technisches Problemchen
Ein Pilot will einen defekten Airbus nicht fliegen - und fliegt raus.
Flug KAJ 2524 befindet sich gerade drei Minuten in der Luft, als Kapitän Peter Thys in seinem Cockpit ein Warnsignal sieht: Ein Generator ist ausgefallen, ausgerechnet jetzt. Thys sagt seinem Bordingenieur Bescheid.
Ein defekter Generator ist zunächst einmal nichts Bedrohliches, der Airbus A300 B4 verfügt über zwei Generatoren, an jedem der beiden Triebwerke ist einer angeschlossen. Sie versorgen das Flugzeug mit Strom und funktionieren unabhängig voneinander. Außerdem gibt es im Heck eine Ersatzlichtmaschine. Keine Gefahr, alles unter Kontrolle.
Flug KAJ 2524 soll an diesem Tag Ende August 235 Passagiere von Paris-Orly nach Djerba bringen, französische Pauschaltouristen zumeist. KAJ steht für Karthago Airlines, eine tunesische Chartergesellschaft. Weil die Tunesier nicht genügend eigene Flugzeuge besitzen, haben sie bei Fly Air, einer Fluggesellschaft aus der Türkei, diesen Airbus gemietet. Peter Thys, der Pilot, ist Belgier, sein Copilot und der Bordingenieur kommen aus der Türkei und sind Berufsanfänger.
"Die schauen zu einem richtigen Piloten noch auf", sagt Thys später, und übersetzt heißt das wohl: Eine große Hilfe wären sie im Zweifelsfall nicht.
Der Airbus fliegt jetzt auf 5000 Fuß, etwa 1500 Meter hoch. Thys lässt sich den aktuellen Treibstoffstand ansagen. Er rechnet. Er versucht, den Generator wieder zum Laufen zu bringen, vergeblich. Diese Panne wird ihm den Abend versauen.
Seine Rechnung geht so: Normalerweise müsste der Airbus auf etwa 10.000 Meter steigen, das ist die übliche Reiseflughöhe, da verbraucht ein Flugzeug am wenigsten Sprit. Thys hat genügend Kerosin an Bord, um sicher nach Djerba zu kommen, und sollte der Flughafen dort - aus welchem Grund auch immer - geschlossen sein, dann würde es noch gut bis zu einem Ausweich-Airport reichen.
Wenn nur die Sache mit dem Generator nicht wäre: Der lässt sich in großen Höhen nicht starten, also müsste Thys niedriger fliegen. Dann aber stiege der Kerosinverbrauch - und der Airbus könnte im Notfall nicht mehr umgeleitet werden. "Wir kehren um", sagt Thys. Er meldet sich beim Tower in Paris zur Landung an, dann spricht er zu den Passagieren: "Leider kann ich Sie nicht in die Sonne fliegen, wir haben ein technisches Problemchen." Und natürlich sagt er auch diesen Satz: "Es besteht kein Anlass zur Beunruhigung."
19 Minuten nach dem Start landet KAJ 2524 wieder in Orly, Thys hofft, dass der Generator schnell repariert werden kann. Es ist kurz nach zehn Uhr abends, um 23.30 Uhr schließt der Flughafen. Thys müsste noch tanken und sich neue Flugunterlagen besorgen, das könnte knapp werden bis Feierabend.
Doch fünf seiner Passagiere wollen auf jeden Fall aussteigen, sie haben Angst. Jetzt muss auch deren Gepäck ausgeladen werden. Damit ist endgültig klar: Heute kommt hier keiner mehr nach Djerba, die Passagiere müssen in einem Hotel am Flughafen übernachten.
Über das Bordtelefon meldet sich Thys bei seinem Arbeitgeber, der Fly-Air-Zentrale in Istanbul. Der Chef habe getobt, berichtet Thys: "In 30 Minuten bist du wieder in der Luft." Das werde nicht funktionieren, sagt Thys. Darauf sein Chef: "Du machst nur Ärger."
Thys ist 46 Jahre alt, er arbeitet bei der türkischen Fly Air mit einem Zeitvertrag für die Feriensaison. Früher gab es feste Jobs, er flog den Airbus für eine niederländische Linie, er flog Fracht für die Deutsche Post, er flog für die Franzosen.
Doch der A300 B4 ist ein altes Flugzeug, die Maschinen der Fly Air stammen aus den frühen achtziger Jahren. Für die großen europäischen Linien gelten solche Maschinen als alt und unrentabel. Sie verkaufen sie an Osteuropäer, Türken und Afrikaner - das ist bei gebrauchten Flugzeugen nicht anders als bei Gebrauchtwagen.
Und weil die Piloten immer auf bestimmte Flugzeugtypen spezialisiert sind, ziehen sie ihren Maschinen hinterher wie moderne Wanderarbeiter. Thys flog zuletzt für den Sudan, jetzt eben für die Istanbuler Fly Air.
Als er am nächsten Morgen zum Flughafen kommt, steht da bereits ein Vertreter der französischen Flugaufsicht: "Herr Kapitän", sagt der Mann, "Sie fliegen hiermit nirgendwohin."
Über Nacht hatten Mechaniker das Flugzeug untersucht: Sie fanden kleine Lecks in der Hydraulik und in einer Treibstoffleitung. Die Bordpapiere waren nicht in Ordnung, und die Sauerstoffmasken entsprachen nicht den französischen Vorschriften. Thys telefoniert mit Istanbul. Dort sind sie jetzt richtig sauer.
Nach ein paar Stunden darf Thys doch starten, allerdings ohne Passagiere. Das Loch in der Treibstoffleitung ist mit Silikon vorläufig abgedichtet, die anderen Schäden dürfen später behoben werden. Nach der Landung in Tunesien meldet sich ein Fly-Air-Vertreter bei ihm: "Du bist gefeuert."
"Das hätte ich gern schriftlich", antwortet Thys. Am nächsten Tag kommt das Fax. Er habe sich nicht an seinen Vertrag gehalten und der Gesellschaft finanziellen Schaden zugefügt, heißt es darin.
In einer Pressemitteilung schreibt Fly Air, für den Rauswurf seien persönliche Probleme des Piloten ausschlaggebend gewesen, nicht die Vorfälle von Paris. Auf Nachfragen hat die Fluggesellschaft bis Mitte vergangener Woche nicht reagiert.
Der Flug Paris-Djerba wird laut Flugplan inzwischen von einem anderen Flugzeug bedient, einer Boeing 737.
Quelle: www.spiegel.de