Nachdem ja immer wieder allerhand Theorien durchs Netz fliegen und Urteile aus dem Zusammenhang gerissen, zitiert werden, mal eine kleine Übersicht, wie denn der aktuelle Stand der Dinge ist:
Laut Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19.11.2009 Rs. C-402/07 und C-432/07 stünden nicht nur Fluggästen annullierter Flüge, sondern auch den Fluggästen verspäteter Flüge ein Anspruch auf Geldzahlung zu.
Dieser Erkenntnis stehen aber ein paar andere Entscheidungen konträr entgegen, weshalb es sich wieder einmal empfiehlt, sich nicht auf eine einzelne Entscheidung zu verlassen, sondern jeden Fall individuell zu betrachten!
Flug verspätet
unter verspäteten Flügen sind nur solche zu verstehen, bei denen sich der Abflug (um mehr als drei Stunden) verzögert. Eine um mehr als drei Stunden verspätete Ankunft am Endziel allein löst den Ausgleichsanspruch nicht aus.
LG Frankfurt a. M., Urteil vom 23.9.2010 - 2-24- S 28 /10
Anschlussflug wegen Verspätung verpasst
Wie der BGH in seiner Entscheidung vom 30.4.2009 - Xa /R 78/08 entschieden hat, steht einem Fluggast, der seinen Flug wegen eines verspäteten Zubringerflugs nicht erreicht, ein solcher Anspruch [Anm: Entschädigungszahlung von Fluggastverordnung) nicht zu.
Zum Urteil
LG Frankfurt a. M., Urteil vom 23.9.2010 - 2-24- S 28 /10
Der Kläger hatte 1,5 Std. Abflugsverspätung, weil nicht alle Passagiere erschienen waren. So versäumte er den Anschlussflug und kam 24 Stunden später erst an. Das Gericht verneinte die Anwendung der FGV, weil ein nicht ausgeführter Beförderungsvertrag, wegen Fluggästen, die nicht rechtzeitig am Abflug erscheinen, die in den FGV geregelten Rechtsfolgen auch dann nicht auslöst, wenn dies von der Fluggesellschaft zu vertreten ist (BGH, Urteil vom 30.4.2009, BGH Urteil vom 28.5.2009). Gegenteiliges hat der Europäische Gerichtshof nicht bejaht.
Bekannt ist ja die Tatsache, dass grundsätzlich kein Defekt mehr "höhere Gewalt" darstellt. Nachstehend ein paar Beispiele, was da so alles nicht höhere Gewalt ist und was vielleicht jetzt Fluglinien dazu verleiten könnte, trotzdem zu starten! Gute Nacht!
- festgestellte Druckschwankungen der linken Triebwerkszapfluft: ein für die Luftsicherheit unabdingbares System, das keinem behördlichen vorgeschriebenen Wartungsprogramm unterliegt und in den letzten 20 Jahren zum ersten Defekt führte (!). Daneben waren die Toiletten unter Wasser gesetzt (...).
- in der Dominikanischen Republik erkrankte überraschend ein Crewmitglied, und da man dort nicht zwei Ersatzcrews stationiert hatte, musste man auf den Einflug eines Ersatzes wartet - war auch nicht "höhere Gewalt" (also auch Erkrankungen müssen vorhersehbar sein...)
- wird ein Flugzeug beim Ablegen von der Parkposition durch ein (fremdes) Schleppfahrzeug beschädigt, ist die Fluglinie auch Schuld und muss zahlen
- fehlt am Ort der Reparatur ein zertifizierter Techniker (Mechaniker), ist das auch nicht höhere Gewalt: entweder von einem Wald- und Wiesentechniker repapieren lassen oder zahlen hieß es...
- ein unerklärliches Auslösen von Notrutschen ist kein außergewöhnlicher Umstand; zähnenknirschend zahlte die Airline die Ausgleichszahlungen, weil Fliegen mit geöffneter Türe und raushängender Notrutsche nicht gestattet ist!
Wie werden Verspätungen berechnet?
Als maßgebliche Zeiten gelten das Ablegen (Abdocken) aus der Parkposition (Startzeit) und das Erreichen der Parkposition am Endziel (Landezeit).
Ich hoffe, es war wieder viel Unterhaltsames und Verwirrendes dabei - ich werde eure (rege?) Diskussion wieder gerne verfolgen.