Der Flug dorthin, von Moskau aus, war ein echtes Abenteuer. Die Maschine war klein und sah mit abblätternder Farbe nicht sehr vertrauenserweckend aus. Aber es half alles nichts. Ich musste einsteigen. Meinen Platz in Reihe 3 durfte ich nicht einnehmen, die Sitze waren kaputt. Dafür waren die Sitze in Reihe 5 etwas feucht. Mit eingezogenen Beinen quetschte ich mich auf meinen Platz und sah fatalistisch meinem Schicksal entgegen. Die Gurte funktionierten nicht, und mein Hintermann verströmte einen betäubenden Duft nach Knoblauch, Parfüm und 3 Wochen altem Schweiß. Aber ich wurde nicht ohnmächtig. Tapfer versuchte ich die nächsten 2 Stunden nur minimal zu atmen. Der Start verlief überraschend pünktlich und ich bemerkte im Steigflug warum mein Sitz nass war. Es regnete rein. Naja man hat mir versichert es sei Schwitzwasser, meiner Hose war das egal. Sie wurde nass als wäre es Regen. Dann hatte der Himmel ein einsehen und ich schlief ein.
Wir landeten etwas holperig, aber heil und gesund. Die 45 minütige Fahrt in die Stadt Kaliningrad führte uns durch heruntergekommene Dörfer. Vor jedem verfallenen Häuschen (ihr würdet es wohl Schuppen nennen) stand ein Brunnen. Kein fließendes Wasser, vielmals kein Strom. Ein Bild des Jammers. Die Stadt selbst ist wie die meisten russischen Städte grau und schmutzig. Alte Weiblein kehren die Straßen mit selbstgebundenen Reisigbesen. Es regnet und ist recht warm. Aber man kann hier tatsächlich über die Straße gehen ohne totgefahren zu werden, auch wenn man nicht springt wie ein Hase. Die Autos HALTEN an Zebrastreifen!!!! In Moskau tut das kein Mensch. Die Menschen die in Moskau alt sind, sind auch flink. Sonst überleben sie den Verkehr nicht.
Kaliningrad ist eine Exclave der russischen Föderation. Es grenzt im Süden und Südosten an Polen, im Norden und Nordosten an Littauen, der Westen liegt an der Ostsee. Ehemals Ostpreußen, das ja bekanntlich die Kornkammer der Deutschen war, ist von der einstigen Pracht nichts mehr übrig. Die Stadt Kaliningrad (Königsberg) bietet bis auf wenige Stellen (z.B. den mit deutschen Mitteln wieder aufgebauten Dom und der nagelneuen evangelischen Kirche) ein Bild des Jammers. Im Krieg wurde der Stadtkern von englischen Bomben restlos zerstört. Was dann noch an schönen Bauten übrig blieb, haben die Soviets gnadenlos gesprengt. Nach der Übernahme durch die Soviets wurde Kaliningrad zu einem Sperrgebiet. Niemand durfte rein oder raus. Das blieb so bis zum Zerfall der Sovietunion. Wenn man durch die Stadt fährt sieht man nur marode, schmutzige Häuser. Schimmelige Außenwände und verrottete Fenster lassen erahnen, wie es innen aussieht. Eine ehemals deutsche Siedlung ist noch erhalten. Aber auch diese Häuser sehen nicht besser aus, auch wenn sie uns von den Stadtführern mit stolz präsentiert wurden. Die Strassen sind in einem schlimmen Zustand. Tiefe Löcher, die stets drohen den Autos den Garaus zu machen. Die Strassenbahnweichen werden von den Schaffnern per Hand bei Bedarf umgestellt. Und wieder unendlich viel Dreck. Überall sieht man alte Weiblein, die mit selbstgebundenen Reisigbesen für ein paar Kopeken die Strassen fegen. Bettelnde hungrige Kinder verfolgen uns überall. Die meisten sind Sozialwaisen, gehen nicht zur Schule weil niemand sie dorthin schickt. Sie laufen aus den Kinderheimen davon, weil es ihnen dort noch schlechter geht. Moskau bezahlt 5$ pro Monat und Kind. Dafür soll es wohnen, essen, lernen und gekleidet werden. Es gibt eine Hilfsinitiative, "Äpfelchen" der deutschen Diakonie. Das sind vier Container im Zentrum, wo die Kinder gelegentlich gewaschen und entlaust werden, und manchmal auch eine Suppe bekommen.
Es gibt kaum nennenswerte Industrie. Durch die Verschmutzung des Wassers ist auch der Fischfang nicht mehr sehr einträglich.
Offiziell leben 40% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, und das ist nicht das was die deutschen als Armut bezeichnen. Die Zahl der Arbeitslosen ist etwa ähnlich hoch. Flüchtlinge aus Kasachstan und anderen Regionen der russischen Föderation, die hoffen, von dort einen Absprung in den Westen zu finden, verschlimmern das Elend. Es scheint ein Fass ohne Boden zu sein, und ohne die ständig fließende Hilfe aus Deutschland (für die auch noch Steuern gezahlt werden muss,) gäbe es gar keine Hoffnung auf Besserung.
Nun, alles in allem ist Kaliningrad eine trostlose Stadt auch wenn sie vermutlich im Sommer auch schönere Seiten zu bieten hat. Wir haben auch noch Baltisk (ehemals Pillau) gesehen. Das ist noch heute militärisches Sperrgebiet. Eine in sich geschlossene Stadt, die normalerweise nicht besucht werden kann. Auch hier Schmutz, trostlose verfallene Bauten. Nur die bettelnden Kinder und die alten Weiblein fehlen.
Ich habe Königsberg nun gesehen. Könnte noch endlos weiter erzählen, von dem Vorzeige Kinderheim, von den vielen Hilfsprojekten, dem fehlenden Geld, der Durchseuchung mit Aids, der Prostitution.
Aber ich wollte nur einen kurzen Überblick geben, von einer trostlosen Stadt an der Ostsee. Dort wo einst die Kornkammer der Deutschen war.