Punta del Anden

Die Bucht der Geister

Eines der schönsten Naturwunder des kanarischen Archipels führt ein absolutes Schattendasein. Es ist auf keiner Karte hervorgehoben und kein Wegweiser deutet darauf hin, dass in Sichtweite des Flughafens eine phantastische Szenerie darauf wartet, von phantasievollen Menschen entdeckt und gewürdigt zu werden. Die pure Anfahrt freilich lässt nichts Großartiges erwarten. Zwar kann man ab und an kurze, lohnende Abstecher zum Wasser machen, doch ansonsten führt die Straße zwischen Bananenplantagen hindurch. Deshalb empfiehlt es sich auch, diese Tour an einem Sonntag zu unternehmen. Dort, wo die eigentliche Straße rechts nach oben führt, bleibt man talnah und fährt bis zum Ende, wo man den Wagen Platz sparend abstellen sollte. Entlang eines trockenen Bachlaufes im Barranco del Romero führt dann der Weg zur Küste an der Playa La Martina hinunter, wo der Atlantik in zahlreiche Buchten donnert. Links befinden sich Gartenanlagen, rechts ein Steinbruch in einem erkalteten Lavastrom. Auch deshalb ist gerade ein Sonntag für den Besuch geeignet. Ein Weg führt an der Küste entlang. Immer wieder wird der Wanderer innehalten und dem Rauschen und Grollen des Atlantiks lauschen, der hier, wie der Zahn der Zeit, beständig an der palmerischen Küste nagt und dabei künstlerische Werke in die Gestade modelliert. Das Meer hat sich nicht geschlagen gegeben und ficht einen ständigen Kampf aus, um einst verlorene Territorien zurück zu erobern. Dabei schafft es atemberaubende Szenarien, die jedweden Menschen zu fesseln imstande sind, dessen Sinne offen sind für überaus romantische Eindrücke. Die schönsten dieser Bilder erkennt man in einer Bucht, die man nur mit den Augen erreichen kann. Der Weg endet an einer Felswand. Trittspuren lassen ein Weiterkommen zwar nicht unmöglich erscheinen, doch ist kaum eine Steigerung der Eindrücke vorstellbar, wie sie hier, an diesem Platz im Steinbruch, auf den Wanderer einströmen. In diese Bucht, jenseits der Felswand, tost der Ozean mit brachialer Gewalt. Dabei hat er im Lauf der Jahrhunderte eine Art Halbhöhle ausgeschürft, die man allerdings nicht sehen kann. Die Art jedoch, wie die Gischt aus der Bucht zurückkommt, lässt keinen anderen Schluss zu. Die Gischt ist hier der Hauptdarsteller. Sie schießt aus der Halbhöhle waagerecht bis zu zwanzig Meter zurück, erzeugt Sekundenbilder und löst sich auf. Fontäne folgt hier auf Fontäne. Unzählige Bilder könnte man hier fotografieren und in sich aufnehmen. Der abgebildete „Geist der klagenden Schleierente“ bzw. der „Schwanz des Riesenseepferdchens“ sind Zufallsprodukte dieser Traumfabrik, die all diese Geister für Bruchteile von Sekunden entstehen lässt. An kaum einem anderen Ort auf La Palma wird die Phantasie des Betrachters derart intensiv angeregt, wie an diesem Platz, in dieser Bucht, inmitten der Elemente. Zeitlos wirkt der Zweikampf, in dem der Ozean irgendwann die Oberhand behalten wird. Der Fels in der Brandung wird weichen, jedoch noch nicht so bald. Mit aller Macht stemmt er sich gegen sein Schicksal. Aber jede Welle drückt aus ihm einen winzigen Bruchteil der Geister, die er in langer Zeit in sich auf genommen hat. Der Beobachter kann das sehr gut sehen, besonders auf Fotos, mit denen sich dieser ungleiche Kampf dokumentieren lässt. Die Geister von La Palma – hier werden sie, und sei es auch nur kurz, zum letzten Mal lebendig, ehe sie im Ozean der Ewigkeit versinken.