• Holginho
    Dabei seit: 1086652800000
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    geschrieben 1140093629000

    ...sie haben tatsächlich so entschieden...

    Von Terroristen gekaperte Flugzeuge dürfen nicht von Bundeswehrflugzeugen abgeschossen werden!

    Was haltet ihr von dieser Entscheidung gegen ein schon von vorneherein nicht unumstrittenes Gesetz (Luftsicherheitsgesetz)?

    Eine Frage an die Experten:

    Wie verhält es sich mit NATO-Flugzeugen? Dürften die ggfs. über deutschem Hoheitsgebiet ein betroffenes Flugzeug abschiessen?

    “Mit dummen Menschen streiten ist wie mit einer Taube Schach zu spielen...“ Rest bei Bedarf googeln!
  • salvamor41
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    geschrieben 1140094998000

    Hallo Holger,

    schwierige Frage, schwierige Antwort! Wenn das Flugzeug gezielt am Himmel abgeschossen wird, sterben "nur" die vielleicht 200 Flugzeuginsassen, fliegt das Flugzeug gezielt in ein Bürogebäude, sterben womöglich ein paar tausend Menschen. Von daher wäre es eine Frage der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Man könnte hier das Prinzip der Notwehr anwenden. Aber so einfach kann ich es mir nicht machen! Nach meinem Verständnis darf kein Mensch einen anderen, auch keinen **********, bewußt töten, deshalb bin ich auch strikt gegen die Todesstrafe. Insoweit: zwei Herzen schlagen in meiner Brust!

    Gruß Wolfgang

    ><o(((°> Don't feed the Trolls <°)))o><
  • hip
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    geschrieben 1140100873000

    Hallo Holger,

    ich kenne mich nicht mit den rechtlichen Gegebenheiten aus.

    Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass die NATO auch nicht eingesetzt werden kann.

    Selbst wenn die NATO mit einem Abschuss von unserer Regierung beauftragt wird (also ein Konsens besteht), so kann meiner Meinung nach das Grundgesetz (Art. 1 Abs. 1) unter der Perspektive Gemeinwesen vor Individuum nicht "verbogen" werden.

    Aber vielleicht kann uns jemand sagen, ob durch den Einsatz der NATO die rechtliche Lage (Ausnahmezustand) so verändert wird, dass die von dem Bundesverfassungsgericht benannten Artikel in diesem Fall außer Kraft treten.

    Die von Salvamor geäußerten Gedanken, kann ich teilen. Hier noch einige Anmerkungen zum Artikel 1 GG.

    Gerade in den letzten Jahren zeigt sich bezüglich des Art. 1 Abs. 1 GG ein Umdenken, das sich auch in der 2003 erschienenen Grundgesetz-Kommentierung des Autors Matthias Herdegen so ausdrückt, dass die Menschwürde in Einzelfällen "abwägbar" und "bilanzierbar" sein soll. Dies bedeutet, dass in Einzelfällen die Androhung oder Zufügung körperlichen Übels, wegen der auf Lebendrettung ausgerichteten Finalität den Würdeanspruch NICHT verletzen.

    Die Gründe für diese Überlegungen sind der 11. Sep., der finale Rettungsschuss bei einer Geiselnahme sowie die Folterandrohungen des eh. stell. Polizeipräsidenten Daschner gegenüber dem Entführer und ****** von Jakob v. Metzler. Auch Daschner argumentierte, dass ein "Rechtfertigender Notstand" vorlag. Das Gericht folgte bei der Verurteilung diesem Argument nicht.

    Also, das Thema "Abwägbarkeit" und "Bilanzierbarkeit", ob Menschen getötet oder körperlich geschädigt werden dürfen, und ob das mit dem Grundgesetzt vereinbar ist, ist eine immer wieder kehrende Diskussion - finde ich total spannend.

    Aber noch mal zur Sache:

    Ein komisches Gefühl habe ich schon, dass wir keine Mittel hätten so einen terroristischen Angriff abzuwehren. Kommt das nicht einer "Einladung" gleich?

    Gruß hip

  • Püppi
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    geschrieben 1140133075000

    Also ich kann mich da bei diesem Thema auch nicht so wirklich auf eine Seite schlagen. Wenn ich es aus dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit betrachte würde ich sagen, ja - man sollte das Flugzeug abschießen. Wenn ich es aber aus dem Blickwinkel der Angehörigen der Passagiere betrachte würde ich natürlich sagen - auf gar keinen Fall.

    Für diese Frage eine konkrete Antwort zu geben halte ich persönlich für schier unmöglich....

    Gruß

    Tanja

    Träume nicht dein Leben - lebe deinen Traum!
  • Erika1
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    geschrieben 1140139871000

    Ist bei dieser Frage nicht ein bißchen sehr viel graue Theorie im Spiel?

    Der Artikel 1 GG ist unverletzlich. Dem hat das Bundesverfassunsgericht am 16.02. Folge geleistet.

    Mein Flughafen ist FRA. Ein Flugzeug bewegt sich mit etwa 850 km/h, ganz in der Nähe von chemischen Fabriken, Atomkraftwerken und Hochhäusern. Es bleibt sehr wenig Zeit, zu erkennen, ob das Flugzeug ein wenig vom Kurs abgekommen ist oder ob es unterwegs zu einem terroristischen Anschlag ist. Ist es überhaupt zu erkennen? Bei 9/11 war es nicht vorhersehbar.

    Selbstverständlich ist die Geschwindigkeit im Landeanflug geringer - rund 300 km, aber: Bis die Abfangjäger gestartet sind, dürfte es zu spät sein, eine Katastrophe wie 9/11 zu verhindern.

    Der Grund, daß das Flugsicherheitsgesetz geändert werden sollte. war 9/11 - das ist 4 Jahre her, es hat lange genug gedauert. 6000 Menschen sind um ihr Leben gebracht worden, eine gewaltige Zahl gegenüber den Menschen, die in den Flugzeugen gestorben sind. Die USA mit ihrer Luftüberwachung hat es nicht verhindern können, wir würden einen solchen Anschlag mit Hilfe unserer Luftwaffe auch nicht verhindern können.

    Ja, die Rechtsprechung unseres BVG hat mal wieder gut funktioniert.

  • Bulgarienfan
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    geschrieben 1140164491000

    Ich habe das ganze Urteil gelesen. Der Kernpunkt ist folgender: Selbst wenn die Passagiere mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur noch Sekunden oder Minuten zu leben haben, darf der Staat nicht erlauben, dass diese Zeitspanne durch aktives staatliches Handeln zu Gunsten des "dauerhaften" Überlebens anderer verkürzt wird.

    Das ist eine klare Entscheidung, die ich allerdings für falsch halte. Den Verfassungsrichtern war offenkundig auch nicht so recht wohl bei dieser Entscheidung, denn sie schieben wortreich andere Gründe nach. So führen sie die unsichere Kenntnislage der Entscheidungsträger an. Das kann im konkreten Fall ein Hinderungsgrund sein, berührt aber doch nicht die Grundsatzfrage, ob ich ein paar Sekunden oder Minuten relativ weniger Menschen zu Gunsten des "dauerhaften" Überlebens von erheblich mehr Menschen opfern darf.

    Ausdrücklich offen gelassen hat das Gericht die Frage des Strafrechtes. Übergesetzlicher Notstand als Rechtfertigungsgrund für eine Abschuss ist damit denkbar.

    Soweit man das vom Schreibtisch aus beurteilen kann: Wenn ich persönlich betroffen wäre und sowieso sterben müsste, wäre es mir Recht, wenn die Terroristen keinen Erfolg hätten. Also: Pro Abschuss!

    Gruß

    Bulgarienfan

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  • mosaik
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    geschrieben 1140167782000

    Meine Bedenken liegen in dem damit rechtlich formulierten Freibrief für Terroristen: Kapere ein Flugzeug, suche dir in Ruhe dein Ziel aus und bringe es zum Absturz - dazwischen passiert dir eh' nix.

    Menschen müssen Vorrang haben - das ist sicherlich auch meine Meinung - aber was, wenn wie in New York, dann Tausende sterben müssen?

    Ich möchte nicht in der Position der Entscheidenden sein!

    Gruß

    Peter

  • salvamor41
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    geschrieben 1140181778000

    Die ganze Problematik und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dürfen nicht isoliert gesehen werden.

    Es geht bestimmten Hardlinern unter den Politikern nämlich in Wirklichkeit darum, der Bundeswehr einen Freibrief für den Einsatz im Inland auszustellen. Diese Pläne sollten jetzt eigentlich endgültig begraben werden, denn die Bundeswehr ist nicht dazu da und auch nicht dazu ausgebildet, Ersatzpolizei zu spielen.

    Gleichwohl fordert Stoiber, vermutlich im Namen der CDU/CSU und besonders seiner Parteifreunde Schäuble, Beckstein und Jung, jetzt verstärkt eine Grundgesetzänderung, um Bundeswehreinsätze im Inneren doch noch zu ermöglichen. Damit wird eindeutig dokumentiert, daß es zumindest der Union gar nicht in erster Linie um die Gefahrenabwehr geht, sondern um die Erreichung eines politischen Ziels: den Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Es brodelt im Inneren der Republik. Fürchtet man Auswüchse?

    Die Terrorbekämpfung selber wird durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sicher nicht erleichtert. Aber das ist der Preis, den eine demokratische Gesellschaft für ihre Kultur zahlt.

    ><o(((°> Don't feed the Trolls <°)))o><
  • Holginho
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    geschrieben 1140183604000

    die ganze Sache hat nur einen bösen Haken:

    In dem man den Innen-Einsatz der Bundeswehr so verhindert, erschwert man auch deren Einsatzmöglichkeiten in Katastrophenfällen (wir erinnern uns alle an die Oder-Hochwasser).

    Auch diese Einsätze sind nun vom Grundgesetz (eigentlich) ausgeschlossen, da grundsätzlich nicht zwischen diversen Krisenfällen unterschieden wird.

    Trotzdem halte ich den Gestzbeschluss für letztlich recht "schwammig" - eine "alleinige" Entscheidung einer Führungskraft kann noch immer zu einem Einsatz und damit ggfs. einem Abschuss führen. Wird der Mann halt im Zweifelsfall anschliessend vor Gericht gestellt...und letztlich als "Held" gefeiert.

    Ja, ich bin auch hin und her gerissen. Einerseits betrachte ich die Entscheidung als Freibrief, wenn nicht gar (wie bereits benannt) als "Einladung" - andererseits wäre ein solcher Einsatz wohl wirklich mehr als heikel. Die Passagiere an Bord sind so oder so "zum Tode verurteilt" - die Frage ist, inwiefern "Aussenstehende" dort dann eingreifen dürfen.

    Ich danke euch für die bisherigen (eurerseits gewohnt) wohltuend sachlichen Antworten und wünsche allen eine gute Diskussion.

    VG,

    Holger

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  • Bulgarienfan
    Dabei seit: 1091923200000
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    geschrieben 1140188009000

    @Salvamor

    Wenn du schon parteipolitisch argumentieren willst, solltest du nicht vergessen, dass das vom BVerfG gekippte Gesetz von Rot-Grün GEGEN die Stimmen von CDU und CSU durchgesetzt wurde. Erstaunlich ist daher die Reaktion der Grünen JETZT. Erst haben sie das Gesetz mitbeschlossen, und jetzt begrüßen sie dessen Ablehnung. Das könnte man auch als Heuchelei bezeichnen. Die CDU bzw. CSU-regierten Länder Hessen und Bayern hielten das Gesetz übrigens ebenfalls für verfassungswidrig.

    Aber das ist nicht der Punkt. Kampf-Einsätze der Bundeswehr innerhalb Deutschlands sind nach einer Grundgesetzänderung prinzipiell möglich. Sollte es also zu einer weitgehenden Übereinstimmung der Parlamentarier kommen, ist das Urteil hierfür kein Hindernis.

    Anders sieht es beim "Recht auf Abschuss" aus. Das geht so ohne weiteres nicht zu ändern. Eine Möglichkeit sehe ich aber darin, neben den Begriffen "Kriegseinsatz" und "Polizeieinsatz" einen weiteren einzuführen, nämlich "Kampfeinsatz gegen Terrorismus". Dafür könnte man dann die Zuständigkeit dem Bund geben.

    Das würde meines Erachtens auch dem Umstand Rechnung tragen, dass wir mit einer neuen Situation konfrontiert sind, die weder einem normalen Krieg vergleichbar ist, noch mit rein polizeilichen Mitteln bekämpfzt werden kann. Wir werden auf Dauer nicht umhin können, dieser Situation Rechnung zu tragen.

    Gruß

    Bulgarienfan

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