Riskante Impfmüdigkeit
Experten befürchten Masernwelle in Deutschland - Infektionsgefahren sind vielfach höher als Impfrisiken
Von Silvia von der Weiden
Münster/Berlin - Die Masern breiten sich in Deutschland weiter aus. Schwerpunkt der Epidemie ist das Ruhrgebiet mit den Städten Duisburg, Dortmund, Oberhausen und Mülheim. Auch am Niederrhein in Kleve, Krefeld und Wesel sowie in Düsseldorf gibt es zahlreiche Fälle. Insgesamt meldet das Landesinstitut für den öffentlichen Gesundheitsdienst in Münster 420 Erkrankungen aus Nordrhein-Westfalen. Im März waren aus dem Großraum Stuttgart über 40 Fälle der meldepflichtigen Krankheit bekanntgeworden.
Beim Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin befürchten die Experten eine Infektionswelle, da vor allem junge Menschen keinen ausreichenden Impfschutz besitzen. "Seit Anfang des Jahres wurden uns über 500 Erkrankungen gemeldet. Das macht uns große Sorgen", sagt RKI-Epidemiologin Anette Siedler. Betroffen seien vor allem Kinder und Jugendliche im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren. Viele scheinen sich untereinander angesteckt zu haben, wie Befragungen nahelegen.
Nach Erkenntnissen von Kinder- und Jugendärzten stammt der aktuell kursierende Virustyp aus der Ukraine. Wie der Erreger, der nur von Mensch zu Mensch übertragen wird, nach Deutschland gelangte, ist unklar. Betroffen sind derzeit auch Ferienregionen in Dänemark, Schweden und Spanien. In Großbritannien sollen die Masern bereits ein Todesopfer gefordert haben, berichten britische Medien.
Masern zählt zu den ansteckendsten Infektionskrankheiten. Deshalb raten Experten Ungeschützten auch noch binnen drei Tagen nach Kontakt mit einem Patienten zur Impfung. Tückisch ist der Verlauf, weil sich erst ein bis zwei Wochen nach der Ansteckung erste Anzeichen wie Kopfschmerz, Rachenentzündung, Übelkeit, tränende Augen zeigen. Zusätzlich kämpft der Patient mit Fieber um 40 Grad. Nicht selten kommt eine Bronchitis hinzu. Erst dann treten die typischen roten Flecken auf, die sich rasch, meist hinter den Ohren beginnend, über den Körper ausbreiten.
Bei einer akuten Infektion lassen sich nur die Symptome behandeln, der Erreger selbst ist dann nicht mehr zu bekämpfen. Meist verschreibt der Hausarzt fiebersenkende Mittel, und der Patient muß das Bett hüten. Nach der überstandenen Infektion bleiben die Betroffenen noch einige Wochen geschwächt. Es besteht dann eine lebenslang anhaltende Immunität gegen das Masernvirus. Bei immerhin 20 Prozent der Fälle kommt es zu Komplikationen: Eine Woche nach dem erkennbaren Beginn der Masern kann es zu Mittelohr- und Lungenentzündung kommen. Gefürchtet ist die Hirnhautentzündung, die sich meist mit Nackensteifigkeit, Erbrechen und Bewußtseinstrübungen ankündigt.
Zwar schwanken die Angaben zur Sterblichkeit durch Maserninfektionen stark. So geht das RKI von einem Todesfall unter bis zu 20 000 Erkrankten aus. Für die USA nennen die Centers for Disease Control and Prevention ein Sterblichkeitsrisiko von bis zu eins zu 500. Weit dramatischer fallen Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation für die Entwicklungsländer aus. Wegen des schlechten Ernährungs- und Gesundheitszustandes sterben dort bis zu einem Viertel der an Masern Erkrankten.
Daß sich die Infektionskrankheit hierzulande so stark ausbreiten kann, liegt auch an der Vernachlässigung des Impfschutzes, beklagen Experten. So empfiehlt die Ständige Impfkommission am RKI die frühe Impfung gegen Masern mit einem Kombinationsimpfstoff, der zudem gegen Mumps und Röteln schützt. Diese MMR-Kombiimpfung sollte zwischen dem zwölften und 15. Lebensmonat durchgeführt werden, um den frühestmöglichen Schutz zu erreichen. Um einen optimalen Impfschutz zu gewährleisten, sollte eine zweite Impfung - frühestens vier Wochen nach der Erstimpfung - bei allen Kindern im Alter von 15 bis 23 Monaten angeschlossen werden. Ist bereits ein Familienmitglied an Masern erkrankt, sollten Säuglinge auch vor der Vollendung des ersten Lebensjahres geimpft werden, rät das RKI.
Ärzte sehen mit Besorgnis, daß die Zahl bewußter Impfgegner zunimmt. Eines der von ihnen am häufigsten genannten Argumente betrifft die Gefährdung durch die Impfung selbst. Tatsächlich jedoch belegen Statistiken, daß es nur bei einer von 200 000 bis 500 000 Impfungen zu einem Schaden oder Todesfall kommt. Das Risiko eines Nichtgeimpften ist vielfach höher.