Nach zwei unglücklichen Threads, die zwar heiß diskutiert, aber inzwischen ohne wirklich abschließendes Statement geschlossen wurden, möchte ich hier einmal das Thema „Reise und Thromboseprophylaxe“ aus meiner Sicht vorstellen. Ich versuche, wenig medizinische Fachbegriffe zu verwenden und möchte noch ein paar Dinge betonen, bevor es los geht:
Dieser Beitrag soll informativ sein und in erster Linie die Problematik erläutern. Er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ersetzt auf keinen Fall die Konsultation eines Arztes! Genannte Medikamente sind Beispiele aus einer Stoffgruppe und können durch andere Präparate gleichen Inhalts ersetzt werden. Handelsnamen sind geschützt.
Was ist eine Thrombose? Kurz gesagt eine meist unerwünschte Blutgerinnselbildung in den Gefäßen unseres Körpers.
Zur Anatomie: Wir unterscheiden zwischen Schlagadern (Arterien) und Venen – Erstere transportieren das Blut vom Herzen in die Körperperipherie, in den Venen fließt es zurück. Während in den Arterien ein hoher Druck und eine rasche Fließgeschwindigkeit herrscht, erfolgt der Rückstrom des Blutes zum Herzen erheblich langsamer und das bei deutlich niedrigerem Druck. Unterstützt wird der Rückstrom durch zwei Mechanismen, nämlich die Tatsache, dass die Venenwand dünn ist und sich leicht durch die umgebende Muskulatur komprimieren lässt und zweitens ein engmaschiges Ventilsystem aufweist, die sogenannten “Venenklappen“, die den Blutstrom nur in eine Richtung gestatten – nämlich zum Herzen zurück. In beiden Gefäßsystemen kann es zu einer Thrombose kommen, wobei die venöse Thrombose sehr viel häufiger vorkommt. Die Venen unserer Extremitäten werden in zwei Kategorien eingeteilt, nämlich in ein oberflächliches und ein tiefes Venensystem. Das tiefe Venensystem ist weniger verzweigt und enthält kaliberstärkere Gefäße, während das oberflächliche System engmaschiger verläuft. Zwischen beiden Systemen gibt es Verbindungsvenen (ebenfalls mit Klappenapparat). Krampfadern gehören übrigens zum oberflächlichen System.
Zur Physiologie der Blutgerinnung: Neben den roten und weißen Blutkörperchen besteht unser Blut zum Hauptteil aus Flüssigkeit, in der sich Eiweiße, Mineralien, Blutplättchen und zahlreiche andere Dinge „tummeln“. Ein sinnvoller Reparaturmechanismus bei einem Wandschaden des Gefäßsystems besteht aus der Blutgerinnung, die durch Bildung eines Gerinnungspfropfes einen „Rohrbruch“ gezielt abdichtet. Ohne diese Reparaturmethode würden wir selbst an einer winzigen Verletzung verbluten. Damit die Blutgerinnung nur dann einsetzt, wenn sie erwünscht ist, ist ein extrem kompliziertes Sicherungssystem vorgeschaltet, die sogenannte „Gerinnungskaskade“. Hier wird aus Eiweißen in zahlreichen Arbeitsgängen das Endprodukt „Fibrin“ gebildet, dass zusammen mit den Blutplättchen zu einem Gerinnsel wächst. Auslöser für das Einsetzen der Blutgerinnung sind die unterschiedlichsten Faktoren, in erster Linie jedoch der Kontakt von Blut mit Bestandteilen, die sonst nicht im Gefäßsystem vorhanden sind. Das können Zelloberflächen sein, körperfremde Stoffe oder die Luft. Weiterhin führt jedoch auch ein längerer Stillstand des Blutes zum Auslösen der Blutgerinnung. Außerdem können Medikamente (z.B. Hormonpräparate) und Umweltfaktoren die Blutgerinnung beeinflussen.
Nach der Bildung eines Gerinnsels wird dieses vom Körper nach und nach wieder aufgelöst. Das macht Sinn, denn nach einem Gefäßwandschaden war das Gerinnsel ja nur eine „Erste-Hilfe-Maßnahme“, bis die eigentliche Reparatur der Gefäßwand abgeschlossen ist. Danach würde das Gerinnsel nur noch den Blutstrom stören und wird daher „entsorgt“. Hat das Blutgerinnsel das gesamte Lumen des Gefäßes verschlossen, wird auch hier nach Wochen und Monaten wieder der Blutfluss freigegeben (Rekanalisierung), wobei allerdings die Klappen der Venen oftmals einen Schaden zurückbehalten und ihrer Ventilfunktion nicht mehr adäquat nachkommen können.
Warum ist eine Thrombose gefährlich? Zum einen durch die Rückflußbehinderung des Blutes mit Schwellung und Schmerzen der Extremität und einer nachfolgenden Störung der Kreislaufsituation. Diese kann chronisch zu Ernährungsstörungen der Haut und Unterhaut führen ("offene Beine") bis zum Verlust der Extremität bei akutem und vollständigem Verschluß der Venen. Weiterhin können sich Gerinnsel aus den Venen wieder "en bloc" lösen und mit dem Blutstrom verschleppt werden, bis sie ein Lungengefäß erreichen und dieses okkludieren - die Folge ist eine Lungenembolie mit bis zu lebensbedrohlichen Folgen.
Wie entsteht die Thrombose bei Flugreisen? Durch eine längere statische Sitzposition mit angewinkelten Beinen, einschnürender Bekleidung und ohne Muskeltätigkeit kommt es zu einer Verlangsamung des Blutstromes in den Venen, was die unerwünschte Auslösung der Gerinnungskaskade und die nachfolgende Gerinnselbildung begünstigt. Weiterhin verliert der Körper über die trockene Luft und eine unzureichende Flüssigkeitsaufnahme an Wasser, so dass sich das Verhältnis von „festen“ zu „flüssigen“ Bestandteilen des Blutes ungünstig verändert. Damit ändert sich auch die Fliesseigenschaft des Blutes und eine unerwünschte Gerinnselbildung wird durch die zunehmende Viscosität wahrscheinlicher.
Wie kann ich mein persönliches Thromboserisiko senken? In erster Linie durch die Anwendung der Muskelpumpe, die die Venen „auspresst“ und das Blut darin schneller fließen lässt. Dazu entweder öfter umhergehen oder auch am Platz durch isometrische Muskelanspannung Druck auf das Venensystem ausüben. Weiterhin durch das Tragen von bequemer und nicht einengender Bekleidung und die Zufuhr von ausreichend Flüssigkeit. Zu beachten ist dabei, dass Kaffee, Tee und alkoholische Getränke zu einer vermehrten Ausscheidung über die Erhöhung der Nierenfunktion und damit einer Verschlechterung der Bilanz führen. Fruchtsäfte, Limonaden und natürlich Mineralwasser sind daher zu empfehlen.
Die äußere und gleichmäßige Kompression des oberflächlichen Venensystems führt zu einer Verbesserung der Fliessgeschwindigkeit im tiefen System und kann ebenfalls protektiv wirken. Kompressionsstrümpfe sollten jedoch nicht einschnüren, daher ist bei „Stangenware“ Vorsicht geboten.
Thrombose-Prophylaxe-Spritzen: Der Wirkstoff dieser Medikamente ist „Heparin“, das eine bereits eingesetzte Gerinnung erheblich schneller wieder auflöst, als es der Körper selbst tun würde (etwa um den Faktor 1000). Da Heparin nicht über den Magen-Darm-Trakt aufgenommen werden kann, muß es als Injektion appliziert werden. Unterschieden werden unfraktionierte und niedermolekulare Heparine, wobei letztere unter den Handelsnamen Clexane®, Fraxiparin®, Fragmin® oder Mono-Embolex® in erster Linie für diesen Zweck zur Thromboseprophylaxe in Frage kommen. Die Schutzwirkung ist unumstritten und durch zahllose Studien belegt. Wie jedes wirksame Medikament beeinhaltet die Anwendung von Heparinen Risiken und Nebenwirkungen, die von allergischen Reaktionen, Erhöhung der Leberwerte, Blutungsneigung bis zu einer überschiessenden Gerinnungshemmung durch eine Verminderung der Blutplättchenanzahl (HIT – „heparin-induzierte-Thrombozytopenie“) reichen. Heparin ist verschreibungspflichtig und die Anwendung setzt die Konsultation eines Arztes voraus.
Wer sollte Heparin zur Thrombose-Prophylaxe bei Flugreisen einsetzen? Diese Frage ist aus meiner Sicht nicht pauschal zu beantworten. Sicherlich Personen, die ein hohes Thromboserisiko in sich tragen: Dazu gehören Menschen mit einer angeborenen Gerinnungsstörung, Patienten mit bestimmten bösartigen Erkrankungen, aber auch Reisende, die schon mal in der Vergangenheit eine Thrombose entwickelt haben. Eine Grauzone in der Entscheidung liegt bei einem entsprechenden Risikoprofil vor(extremes Übergewicht, Hormoneinnahme, Vorhandensein von Krampfadern etc.). Hier sollte der Betreffende unbedingt den Rat des Arztes suchen, der ihn regelmäßig betreut und damit am besten über die Nutzen-Risiko-Konstellation entscheiden kann.
Für allen anderen Flugreisenden ohne entsprechendes Risikoprofil würde ich auf eine medikamentöse Thromboseprophylaxe verzichten, wenn die o.g. Ratschläge zur Minderung des persönlichen Thromboserisikos auf offene Ohren stoßen. Im Zweifelsfall ist der Rat des behandelnden Arztes auf jeden Fall besser, als jeder noch so gut gemeinte Ratschlag in einem Forum.
Hilft Aspirin® zur Thromboseprophylaxe? Studien haben belegt, dass Acetyl-Salicyl-Säure zwar eine sehr potente und lang anhaltende Wirkung auf die Blutgerinnung hat, aber dies nur im arteriellen Schenkel der Blutbahn relevant ist. Zur Prophylaxe einer Venen-Thrombose ist ASS nicht geeignet.
Marcumar® als Alternative zum Heparin? Klares „Nein“! – die Wirkung ist zwar exzellent, aber der Wirkstoff dient der Dauermedikation und die Einnahme als Thromboseprophylaxe auf Flugreisen ist in keiner Weise mit den Risiken, der langen Wirkdauer, der komplexen Einnahmevorschrift und den erforderlichen engmaschigen Kontrollen der Gerinnungsparameter vereinbar. Wer allerdings Marcumar® bereits als Dauermedikation einnimmt, ist optimal geschützt und benötigt auch bei entsprechendem Risikoprofil kein zusätzliches Heparin.
Komme ich mit Heparin-Spritzen durch den Zoll? In aller Regel ja! Wer im Zweifel ist, kann sich von den Herstellern ein internationales, mehrsprachiges Zertifikat kostenlos zusenden lassen, das der verordnende Arzt unterschreibt und stempelt. Damit gibt es in aller Regel keine Probleme.
Ich hoffe, dieses Statement hat etwas zur Klärung der kontroversen Fragen beigetragen und wünsche allen Lesern eine schönen Urlaub - Gruß von Jörn