Dabei fällt mir ein, daß ich bei meinen obigen „Regeln“ noch eine
vergessen habe, quasi
Regel 9:
nach dem Tunnel ist vor dem Tunnel, und im Tunnel ist vor dem nächsten Tunnel, bevor’s wieder in einen Tunnel und über 'ne Brückein den nächsten Tunnel geht
Das betrifft dann hauptsächlich die Schnellstraße „ViaRapida“, und woran man sich als Madeiraneuling erstmal gewöhnen muss. Wie schon anderswo geschrieben, erschweren diese vielen Tunnel die Navigation mit modernen Mitteln doch erheblich, weil in den vielen Tunneln natürlich kaum GPS-Empfang möglich ist.
Andererseits macht es diese relativ neue Straßenführung erst möglich, eine touristische Erkundung der Insel in relativ kurzer Zeit zu bewerkstelligen.
Eine halbwegs flotte Umrundung der Insel ist somit etwa seit Beginn der 2000er Jahre möglich: diese inselumfassende Schnellstraßenführung hat ungefähr die Form einer liegenden „Acht“. Sie hat insbesondere im Nordosten noch Lücken, doch sie ermöglicht es prinzipiell, mit einigen Abstechern etwa zur Hochebene „Paul da Serra“ im Westen und zur Halbinsel „Sao Lourenco“ in wenigen Tagen die „gesamte Insel gesehen zu haben“.
So weit, so gut, doch dies kann natürlich nur ein oberflächlicher Eindruck sein.
Das Besondere an Madeira ist eigentlich, dass man diese Erkundungen quasi endlos ausdehnen kann, es gibt immer wieder Neues und Anderes zu entdecken. Dank den ein paar Beiträge vorher beschriebenen „Verirrungen“ bei unseren ersten Besuchen haben wir schnell diese Vielfältigkeit bemerkt.
Bedingt durch die zerklüftete geografische Struktur gibt es in den vielen einzelnen Tälern nicht nur eigene Mikroklimata und damit verbunden auch oft erstaunliche Unterschiede in der Vegetation in engster Nachbarschaft, auch den jeweiligen Ortschaften und ihren Bewohnern ist diese durch die Abgeschiedenheit unterschiedliche Entwicklung auch heute noch anzumerken: bis zu Beginn des 21.Jahrhunderts waren viele Orte nur auf dem Seeweg oder über sehr zeitaufwändige Wegeführungen zu erreichen, und die „Casas de Colmo“ in Santana sind nur ein Beispiel von vielen für diese unterschiedlichen Entwicklungsformen.
Ähnlich ist es bei den Wandermöglichkeiten: in den verschiedenen gängigen Wanderführern sind etwa 60 unterschiedliche Hauptwanderungen beschrieben. Insbesondere durch das System der Levada-Bewässerungskanäle ergeben sich darüber hinaus noch hunderte Möglichkeiten mehr, welche beileibe keine Variationen der Haupttouren sind, und die in immer neue unterschiedliche Winkel der Insel hineinführen- und dies nicht etwa nur für Wandercracks, sondern auch für Gelegenheitswanderer, ein bisschen Erfahrung und vernünftige Ausrüstung natürlich vorausgesetzt.
Und so ist es bei unseren Madeira-Urlauben noch heute so,dass ¾ daraus bestehen, jeweils morgens zu einem Tagesziel –welches aufgrund der Wetterlage durchaus unterwegs noch gewechselt werden kann- aufzubrechen, und dort eine Wanderung zu unternehmen. Auf der Rückfahrt gibt’s dann meist einen Abstecher in irgendeinen Abzweig hinein, der einen dann sonstwo hinführen kann, in ein abgeschiedenes Dorf, ein Tal, auf einen Bergrücken, wo es immer wieder anders, immer wieder neu ist, wo die Kartoffeln anders schmecken und das Brot, wo jede kleine Bar ein anderes Schmankerl zu bieten hat, wo es anders riecht und es immer neue Aussichten gibt, und das ist eben Madeira.
Wie das insbesondere hinsichtlich der kulturellenUnterschiede zukünftig sein wird, dürfte allerdings die Frage sein: durch die modernen schnellen Straßenverbindungen hält der moderne Zeitgeist auch in diehinteren Winkel Einzug, ebenso die neuzeitlichen Sozialsysteme. Und so befürchte ich fast, dass "dieses" Madeira nicht mehr sehr lange Bestand haben könnte: warum sollten die Menschen auch aufwändig und mühselig die Terrassenfelder beackern, wenn sie z.B. die dort herangezogenen und mühevoll abzutransportierenden Kartoffeln auch für ein paar Cent wenige Kilometer weiter im Supermarkt billig einkaufen können,warum sollten sie Schafpferche aus geschichteten Steinmauern errichten und instand halten, wenn sich flott und günstig dort auch Stallgebäude aus Stahlträgern und Thermoblechen bauen lassen, und warum sollten sie größere Felder mit Zäunen aus geflochtenen Weiden gegen den Wind schützen, wenn auch ein Verbau aus Kunststoffzäunen diesen Zweck wesentlich günstiger erfüllen kann.
Insofern sehe ich die Zukunft ein wenig skeptisch, und so kann ich nur dazu raten, bei Interesse Madeira möglichst bald zu besuchen, wenn man es noch in dieser Form erleben möchte, in 20 Jahren dürfte Vieles davon verschwunden sein.
Bestand haben dürften jedoch die Levadas, vielleicht wird sich ihre Form vielerorts auch verändern –größere Wassermengen werden vermehrt in dicken Rohren zu Tal geführt und dabei durch Wasserkraftwerke geleitet- jedoch können sie ihre Sammelfunktion nur als kleine offene Kanäle erfüllen,und ohne diese Art der Wassersammlung wäre die Zivilisation auf Madeira auch im 21.Jahrhundert nicht lebensfähig.
*tschaui*
das wauzih