Es ist unmöglich, sich Brasilien zu nähern, ohne sich mit dem kulturellen Hintergrund, der Geschichte des Landes und den Lebensumständen der dort lebenden Menschen zu beschäftigen.
Umfassend zu berichten, würde den Rahmen dieses Forum sprengen, deshalb sollen hier fast auschließlich die wahrlich nicht rosigen Lebensumstände vieler Brasilianer thematisiert werden.
Die riesigen urbanen Ballungsräume Brasiliens beherbergen heute extremen Reichtum und unfaßbare Armut zugleich.
Reichtum: Innerhalb der letzten 20 Jahre hat sich die Anzahl reicher Brasilianer mehr als verdoppelt. Gab es im Jahre 1980 aufgrund Erhebungen des brasilianischen Instituts für Geographie und Statistik noch ca. 500.000 Familien mit einem monatlichen Einkommen über 11.000 Reais (z.Zt. ca. Euro 3.000,00), waren es im Jahre 2000 schon ca. 1.160.000 Familien. Deren Anteil am Nationaleinkommen stieg innerhalb dieser Zeitspanne von 20% auf 33%. Heute stecken 2,4% aller Familien ein Drittel des brasilianischen Gesamteinkommens in ihre Tasche. Allein die 5.000 reichsten Familien, bei einer aktuellen Gesamteinwohnerzahl von ca. 170 Mio. Menschen, türmen ein Vermögen von ca. 40% des Bruttoinlandsproduktes eines gesamten Jahres auf. Das oberste Zehntel der Gesellschaftspyramide vereint auf sich ca. 3/4 aller Reichtümer des Landes.
Armut: Eine erst im April 2004 veröffentlichte Studie der Stiftung Getulio Vargas hat ans Licht gebracht, daß 1/3 der Brasilianer weniger als ca. 80 Reais (ca. Euro 23) monatlich zur Verfügung stehen. Mit einem durchschnittlichen Stundenlohn von 2,10 Reais (ca. 60 Cent) verdienen die Bewohner der Favela Rocinha bis zu 90% weniger als ihre direkten Nachbarn in den besseren Wohngegenden, und müssen dafür auch noch mehr arbeiten. Auf dem Arbeitsmarkt haben die Favelados allein aufgrund ihrer Herkunft kaum Chancen, oft verleugnen sie deshalb ihre Adresse.
In nur drei Jahrzehnten nach Beginn der Urbanisierung in den 70er Jahren entwickelte sich innerhalb der brasilianischen Metropolen all jene soziale Ungleichheit, die in den Jahrhunderten zuvor in den ländlichen Gebieten vorherrschte. Während in Sao Paulo im Jahre 1970 lediglich 1% seiner Einwohner in Favelas hausten, stieg deren Anteil bis 1993 auf 19,4%. In den Slums suchen Menschen im Müll nach Verwertbarem, um zu überleben. Selbst ein einfacher Kinobesuch ist für Millionen ein unerreichbarer Luxus. In den seit Jahrzehnten wachsenden Elendsgürteln sammelt sich ein wachsendes Heer von Perspektivelosen. Enorm hohe Arbeitslosigkeit in Verbindung mit der Abwesenheit jeglicher öffentlicher Hilfe verwandeln die Stadtränder zunehmend in eine Hölle aus extremer Armut und grausamster Gewalt. Sie sind der alltäglichen Gewalt der Banden und Drogendealer ausgeliefert. Nahezu die Hälfte der Betroffenen sind Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren. Auf dem regulären Arbeitsmarkt haben die jungen Leute, wie schon erwähnt, kaum Chancen. Von den Medien und der Gesellschaft werden sie stigmatisiert und mit den Drogenbossen und Revolverhelden in einen Topf geworfen. Die Kinder wachsen mit Drogen, Prostitution, Gewalt und Mord auf. Das ist ihr Leben, ihr Alltag. Ohne Zugang zu guten Schulen, ohne Chance auf eine reguläre Beschäftigung wachsen die Verlockungen der Kriminalität. Die Drogenbosse brauchen immer Nachwuchs und versprechen das schnelle Geld, Auto, Macht.
Grundvoraussetzung für eine Änderung der Verhältnisse wäre eine radikale Bodenreform, die zwar jetzt von dem neuen sozialistischen Präsidenten Lula angestrebt, von den Großgrundbesitzern aber mit aller Macht hintertrieben wird, weil damit zwangsläufig auch Enteignungen einhergingen. Die Großgrundbesitzer spielen ihre Macht und ihre finanzielle Stärke brutal aus, indem sie private Armeen zur Verteidigung ihrer Besitztümer anheuern. Der Staat zögert, mit Gewalt vorzugehen, wil er "kolumbianische Verhältnisse" befürchtet und auch die in Brasilien in gewissen Kreisen einflußreichen US-Amerikaner fürchtet.
Eine ausweglose Situation, wie es scheint!
Wer jetzt noch Lust auf Urlaub in Brasilien hat, ist dort genau richtig. Als Urlauber bekommt man nämlich von alledem so gut wie nichts mit, wenn man es nicht wahrnehmen will.
Wir für unseren Teil weigern uns jedoch, wie gesagt, diese Dinge zu ignorieren.
Über die positiven Aspekte eines Urlaubs in Brasilien berichte ich ab dem nächsten Beitrag.