Nach fast 4 Wochen heftigen Schlagabtausches mit über 300 Beiträgen und einer Rekordzahl von über 6.600 Klicks ist es nun an der Zeit, zum Ende zu kommen und ein Fazit zu ziehen:
Dabei möchte ich es mir nicht so einfach machen, wie der selbsternannte "beste Diskutant" des Bulgarien-Forums...
Ich hatte die kriminellen Strukturen am Sonnenstrand ja schon erkannt, als ich das Thema hier zur Diskussion stellte und parallel dazu mögliche Hintergründe dafür im Internet zu suchen begann. Hier hatte sich nämlich sofort die Anti-Fraktion gebildet und meine Erkenntnisse als unglaubwürdig abqualifiziert...
Dabei konnte ich von Anfang bestes Material präsentieren:
@'JürgenW' sagte:
Rumänien und Bulgarien haben enorme Probleme mit Korruption und Mafiastrukturen. Diese zu bekämpfen ist eine harte Nuss. Schnell, schnell geht da gar nichts.
Dass es in Bulgarien eindeutige Mafiastrukturen gibt, ist auch nicht wirklich bestritten worden. Aber was die bewirken und wie weit sie reichen, ist auch mir immer noch verborgen geblieben...
@'JürgenW' sagte:
14. Oktober 2005 13:00 Bulgarien beschloss von EU geforderte Justizreform
Die bulgarische Polizei hatte die umständliche Strafprozessordnung für die mangelnde Effizienz beim Kampf gegen das Organisierte Verbrechen genannt. Bulgarien wird derzeit von einer Welle an Auftragsmorden an bekannten Unternehmern erschüttert.
Nach dem neuen Recht kommen einander Polizei und Justiz bei den Vorerhebungen nicht mehr in die Quere. Bisher musste 90 Prozent der Kriminalfälle aus Formalgründen ad acta gelegt werden, weil nur die Justizbehörden das Recht hatten, Beweise zu sammeln. Nach dem neuen Strafprozessrecht sollen die Polizisten im Vorverfahren dieses Recht bekommen
(APA/dpa/Reuters)
Nach diesem Artikel bin ich aber überzeugt, dass die Mafia bis ins Justizministerium wirkt und mit weiteren Mordanschlägen den EU-Beitritt verhindern möchte...
@'JürgenW' sagte:
Mir geht es bei diesem Thema nicht um einzelne Fälle von Krimininalität, wie sie auch in anderen Urlaubshochburgen wie z.B. Playa del Ingles auf Gran Canaria vorkommt, sondern um die Selbstverständlichkeit und Dreistigkeit, wie sie am Sonnenstrand größtenteils organisiert durchgeführt wird, ohne dass die Polizei überhaupt an den Brennpunkten präsent ist.
Wenn 90% der Kriminalfälle eh ad acta gelegt werden, wundert mich die mangelnde Polizeipräsenz auch nicht mehr...
@'JürgenW' sagte:
Vor diesen betrügerischen Wechselstuben wird z.B. wie selbstverständlich überall gewarnt, trotzdem machen die weiter ihre kriminellen "Geschäfte", ohne dass sich die Geschädigten dagegen wehren können. Sie werden sogar - wie mir glaubhaft versichert wurde - angepöbelt und körperlich angefasst, wenn sie ihr Geld zurück verlangen...
...und vor diesen "Wechselstuben" warnt ja sogar das AA noch viel drastischer und erwähnt auch den systematischen EC-Karten-Missbrauch...
Aber wie wirken sich solche Zustände auf einen normalen Touristen aus?
@'JürgenW' sagte:
In Bulgarien brauchen diese Betrüger (noch) keine Strafverfolgung zu fürchten, weil der Polizei (noch) die Hände gebunden sind. Deshalb wird den Opfern schon vorher suggeriert, sie seien selber Schuld, wenn sie drauf reinfallen...
Dann wundert es mich auch nicht mehr, wenn hinterher keiner gerne zugeben will, wie dreist er betrogen oder beklaut wurde, zumal ihm von "Kennern" dann auch noch mehr als Leichtsinn (sprich Arglosigkeit) unterstellt wird...
Im Schatten dieser Machenschaften werden immer mehr normale Bürger kriminell und haben zunehmend kein Unrechtsbewusstsein mehr bei ihren Betrügereien...
Am Ende der Saison waren so viele schon "Gewohnheitsbetrüger", dass sie richtig frech wurden, wenn man sie erwischte! Viele andere haben dabei tatenlos zugesehen, manche werden sicher in der nächsten Saison "ihr Glück versuchen", weil es sich doch herumspricht, wie einfach das ist und wieviel mehr Verdienst es bringt...
Solche Erklärungsversuche habe ich angeboten, bin aber immer wieder ignoriert oder abgeschmettert worden, weil die Anti-Fraktion offensichtlich die Kriminalität dort verharmlosen bzw. der großen Mafia zuschieben möchte...
@'JürgenW' sagte:
Sicher hat hier niemand die Kriminalität in Bulgarien bestritten oder sogar verteidigt, aber sie ist doch von vielen verharmlost und verallgemeinert worden, obwohl sie - gerade in Bulgarien - überdurchschnittlich und allgegenwärtig ist. Nur deshalb und weil ich das selbst erleben musste, habe ich dieses Thema hier zur Diskussion gestellt!
Wenn ich parallel zu dieser Diskussion solche Pressenotizen zitiere:
Weiterhin seien die organisierte Kriminalität, als auch die weit verbreitete Korruption nach wie vor besorgniserregend, was sich gleichfalls auf vielfältige Bereiche des gesellschaftlichen Lebens auswirke.
"Die hohe Kriminalitätsrate in Bulgarien, bisher kein Tagesordnungspunkt auf der politischen Agenda, verursacht ernste Besorgnis. Die permanenten Auftragsmorde von Personen mit Kontakten zur organisierten Kriminalität stellen eine große Herausforderung für die Rechtsstaatlichkeit dar", äußerte Kurkulas gegenüber Journalisten.
...kann mein Eindruck nicht falsch sein! Auch nicht dahingehend, dass sich solche Zustände in allen Gesellschaftsschichten irgendwie auswirken!
Auch dieses Statement mit Zitaten aus dem Internet verpuffte wirkungslos, sodass ich ironisch feststellte:
Und? Was ist dabei rausgekommen?
Natürlich: In Bulgarien ist die Kriminalität nicht wesentlich höher als bei uns auf dem Weihnachtsmarkt...:rofl:
Schließlich wurde ich aber doch noch fündig und konnte meine Eindrücke mit denen eines bulgarischen Politologen abgleichen:
@'JürgenW' sagte:
Mir ist zwischenzeitlich bei Radio Bulgaria dieses brandaktuelle Interview "in die Hände gefallen":
Veröffentlicht am November 10, 2005, 17:26 BG
Der 10. November – 16 Jahre danach
Am heutigen Tag vor 16 Jahren ist das kommunistische System samt seiner Ideologie zusammengebrochen, das das Leben in Bulgarien im Verlauf von 45 Jahren bestimmt hatte. Die ersten Monate nach der politischen Wende von 1989 waren von Enthusiasmus und der Hoffnung auf ein neues und besseres Leben geprägt. 16 Jahre später blicken die Bulgaren mit gemischten Gefühlen auf dieses Datum zurück. Wie sehen wir den 10. November heute – inzwischen als ein Land, das Mitglied in der NATO ist und bald der EU beitreten soll, das aber trotzdem noch arm bleibt und zu Pessimismus neigt. Krassimir Martinow unterhielt sich darüber mit dem Politologen Professor Georgi Karasimeonow.
Ich kenne diesen Prof. zwar nicht, aber einige Aussagen finde ich schon interessant und kommentierenswert:
Dabei sind für die meisten Bulgaren jene materiellen Erwartungen, jener höhere Lebensstandard, auf den sie gehofft haben, noch nicht eingetreten.
Das möchte wohl der Hauptgrund für den Pessimismus sein, den ich persönlich am Sonnenstrand als Unfreundlichkeit und Missgunst empfunden habe...
"Das Hauptdefizit dieser 16 Jahre ist das, was wir Rechtsstaat nennen", sagt Georgi Karasimeonow. "Uns scheint das Verständnis für Gesetzlichkeit und für Regeln überhaupt abhanden zu gehen."
Dieses "Defizit Rechtsstaat" habe ich vor Ort als Dreistigkeit der Kriminellen, auch noch nach dem Entlarven, und mangelndes Unrechtsbewusstsein empfunden und mit dem Gefühl beschrieben, mich in einem rechtsfreien Raum befunden zu haben...
Solange die Mehrheit der Bulgaren sich nicht an den Regeln hält – vom Halten bei Rot bis zur Entrichtung ihrer Steuern – werden wir ein nicht europäischer und nicht zivilisierter Staat bleiben.
Hier spricht ein bulgarischer Politologe von der "Mehrheit der Bulgaren" die ich auch empfunden habe, mich aber nicht getraut habe, so krass zu formulieren...
"Nicht umsonst gehen die Hauptkritiken an Bulgarien auch in diese Richtung – Korruption und Nichteinhaltung der Gesetze. Das ist aber eine Frage der Zeit, und ich bin überzeugt, dass wir als EU-Mitglieder nicht umhin kommen werden", so Professor Karasimeonow.
Diese "Nichteinhaltung der Gesetze" habe ich vor Ort als mangelnde Polizeipräsenz empfunden, jetzt weiss ich aber, dass durch Korruption der Justiz- und Polizeiapparat nicht nur teilweise gelähmt ist... :shock:
Die "Frage der Zeit" wegen der EU habe ich völlig falsch eingeschätzt! :shock:
Die fangen ja jetzt erst an mit Bekämpfung der Korruption, Justizreform und "totalen Krieg gegen die Mafia"... :shock:
Natürlich können solche Aussagen eines Professors die betonierte Meinung eines Bulgarienfans nicht erschüttern, MIR haben diese Aussagen zum Thema Rechtsstaat weitergeholfen...
Mein vorläufiges Fazit:
Nach der Wende wurde das Staats- und Parteivermögen unter der "Elite von 5%" aufgeteilt, die es zunehmend mit illegalen Mitteln vermehrten, dabei Politiker und Justizapparat korrumpierten und die restliche Bevölkerung in immer größere Armut stürzten. Einen gesunden Mittelstand gibt es in Bulgarien gar nicht...
Durch bestochene Justizorgane und ohnmächtige Polizei ist schließlich ein "nicht zivilisierter Staat" entstanden, also ein "Defizit an Rechtsstaat", wie der Professor konstatiert. Genau das habe ich am Sonnenstrand erlebt, wobei ich von den beiden Mordanschlägen erst später gelesen habe...
Der "Staat im Staate" - wie hier so gern verniedlicht wurde - hat also mit Korruption nicht nur seine eigenen Pfründe gesichert, die er auch mit Waffengewalt verteidigt, sondern gleichzeitig auch für alle anderen Tür und Tor geöffnet. Da braucht keiner Angst vor der Polizei zu haben...
Ob diese verbrecherischen Wechselstuben, die Taxigangster und Taschendiebinnen zur organisierten Kriminalität gehören oder sich selbst organisiert haben, spielt letztlich für die Auswirkungen keine Rolle mehr...
Über tatsächlich stattfindende Prostitution oder Drogenhandel konnte ich trotz vieler Nachfragen auch keine definitiven Bestätigungen finden. Ich gehe davon aus, dass Prostitution nur als Köder für Taschendiebstahl benutzt wird...
Natürlich kann jeder, der sich mit diesen Strukturen arrangiert und seine Nischen findet, in Bulgarien immer noch einen preisgünstigen Urlaub verbringen und bleibt bei entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen von größeren kriminellen Übergriffen verschont. Für alleinreisende Männer ist der Sonnenstrand aber nicht geeignet, wenn man dort abends ausgehen möchte, weil das die Hauptzielgruppe für die Taxigangster mit 1 oder 2 fingerfertigen Damen an Bord ist...
Als Pärchen oder Gruppe hat man nur die Kleinkriminalität zu befürchten: Diebstahl am Strand, Betrug beim Bezahlen, normaler Taschendiebstahl. Bei Taxifahrten muss man wohl generell den Preis vorher aushandeln...
Mich persönlich hat aber die ständige Unfreundlichkeit und Missgunst der Einheimischen dazu bewogen, vorzeitig abzureisen und nicht wieder zu kommen. Die finanziellen Verluste hat man da ja leicht wieder eingespart...
Allen Bulgarienfans wünsche ich weiterhin schönen Urlaub dort, obwohl sie bei diesem Thread nicht gerade hilfreich waren und mich ganz schön attackiert haben...
Gruß
Jürgen