Curiosus, eine gut geschulte Reiseleitung wird Dir garantiert charmant, aber eindeutig klarmachen, daß es den "besonderen Service" bei Ihr ganz bestimmt nicht gibt
Zurück zum eigentlichen Thema: Bei aller Kritik an den Reiseleitungen (sehr häufig werden sie hier von Usern sehr unqualifiziert beurteilt - das hat ein Großteil nicht verdient!) bitte ich zu bedenken, daß diese keine reinen Ausflugsverkäufer sind - auch wenn es leider viele schwarze Schafe (meist von örtlichen Agenturen) gibt, die mangels entsprechender Ausbildungen nicht erkannt haben und nie erkennen werden, daß der Beruf der Reiseleitung aus wesentlich mehr als dem Ticketblock besteht. Auch die Erkenntnis, daß nur ein Gast, der von der Reiseleitung in jeder Hinsicht einen guten Service und bei auftretenden Fragen/Problemen im Urlaub eine gute Unterstützung (falls nötig) bekommt, auch gerne und freiwillig einen Ausflug bucht, kommt in der Regel zu spät.
Da ich ja selbst einige Jahre lang bei einem großen Veranstalter, der mich aus heutiger Sicht auch vor und während meiner Tätigkeit sehr gut und umfassend geschult hat, in verschiedenen Destinationen als Reiseleitung tätig war, möchte ich Euch eine kurze Übersicht über die Tätigkeit geben.
In der Regel arbeitet man an 6 Tagen in der Woche. Von ca.09.00 - 13.00 und von ca. 16.00 - 20.00 ist man in den verschiedenen Hotels, die man betreut (in der Regel ca. 10 - 15 Hotels pro Reiseleitung, abhängig von den Gästezahlen und der Saison). In der "Mittagspause" und nach "Feierabend" muß dann noch Büroarbeit erledigt werden, ggf. besucht man noch einen Gast im Krankenhaus/********* oder begleitet einen Gast zur Polizei, kümmert sich um die Überführung eines verstorbenen Gastes (für den man, wenn alleinreisend, durchaus auch mal die Koffer packen muß), etc.. Irgendwas ist immer. 1x pro Woche hat man Flughafendienst und ist nicht selten (je nach Flugplan und Pünklichkeit der Flieger) durchaus mal 18 Stunden ohne nennenswerte Pause am Flughafen, um nach 2 Stunden Schlaf am nächsten Morgen strahlend (der Kosmetikindustrie sei Dank ), fröhlich, freundlich und topfit den ersten Begrüßungstreff (30 - 45 Minuten Dauer, 2/3 Infos über Land und Leute & allgemeine Frage, 1/3 Ausflugsverkauf) für die neu angekommenen Gäste zu halten.
Mittagspause am Strand? Mit viel Glück in der Vor- oder Nachsaison.
Ein freier Tag am Strand: Ja, das geht. Allerdings sollte man immer einen "Sicherheitsradius" zu den Hotels, die man betreut, einhalten - als Reiseleitung ist man bekannt wie der berühmte "bunte Hund". (Was ja eigentlich kein Problem ist - aber wenn sich ein Gast zu einem auf Handtuch setzt und mal eben so seine Reklamation loswerden möchte oder unbedingt eine Inselrundfahrt buchen will und sich fürchterlich aufregt, daß man am Strand keinen Ticketblock dabei hat...(kein Scherz) )
Wenn man das Notrufhandy in seiner Obhut hat, kann es durchaus sein, daß nachts um 02.00 ein Gast anruft, weil ihm das Toilettenpapier ausgegangen ist (auch kein Scherz!). Im Schnitt arbeitet man also locker 10 - 16 Stunden am Tag, viel Zeit für Privates bleibt da nicht.
Urlaub? Ja, den hat man - zumindest lt. Vertrag. Aber während der Saison (April - Ende Oktober) ist daran nicht zu denken. Wenn man auch im Winter arbeitet (in einem anderen Zielgebiet), fliegt man für 3 - 7 Tage in die Heimat, packt die Koffer aus, blockiert Mutter's Waschmaschine, und packt wieder ein, klappert die diversen Ärzte zwecks Routinecheck ab, uns schon sitzt man wieder im Flieger ins nächste Ziel. Der Urlaub wir dann gutgeschrieben. Nach 3 Jahren Arbeit ohne Urlaub hatten sich bei mir dann stolze 4 Monate :shock: Resturlaub angesammelt)
Zu meiner Reiseleiterzeit hatte ich noch das Glück, vernünftig bezahlt zu werden. Ich war lt. Vertrag weltweit einsetzbar, bekam ein kleines Festgehalt aufs Schweizer Nummernkonto und Tagegeld, Spesen, Ausflugsprovision vor Ort bar ausgezahlt. Privat kranken- und sozialversichert war ich ebenfalls über die Schweiz. Das Festgehalt mußte ich eigentlich nie anfassen, da ich vor Ort (abgesehen von gelegentlichen Shoppingattacken ) keine nennenswerte Ausgaben hatte. Wohnung, Gas, Strom, Wasser, Auto, Benzin, etc. wurde komplett vom Arbeitgeber übernommen bzw. erstattet, essen konnte ich in den Hotels, die ich betreute - perfekt!
Mir persönlich hat der Job trotz allem sehr, sehr viel Spaß gemacht und ich habe sehr viel - auch und vor allem fürs Leben - gelernt. Ich kann auch jedem nur empfehlen, diese Erfahrung einmal selber zu machen. Allerdings muß man sich auch im Klaren sein, daß ein Job im Süden eben nicht nur aus Spaß, Strand und Party besteht, sondern auch einige negative Aspekte und vor allem und in erster Linie viel Arbeit mit sich bringt.
Die guten, alten, von mir beschriebenen Zeiten sind aber bei vielen Reiseleitern vorbei - auch die Veranstalter müssen sparen. Leider wird auch zunehmend an der Ausbildung der Reiseleiter gespart - m. E. spart man dort am falschen Ende, denn eigentlich ist eine gut geschulte Reiseleitung das Kapital der Veranstalter. Eine gute Reiseleitung löst z. B. einen Großteil der Reklamationen schnell und effektiv vor Ort bzw. verhindert das Entstehen schon im Keim - dadurch spart der Veranstalter auch sehr viel Geld ein .
Viele Reiseleiter, die von örtlichen Agenturen eingestellt sind, bekommen abgesehen von einem kleinen Obulus, der als "Gehalt" bezeichnet wird, nichts von dem, was ich damals hatte. Miete, Auto (das oft erforderlich ist, um die Hotels überhaupt zu erreichen), etc. muß häufig komplett selbst bezahlt werden, im Hintergrund steht oft noch eine Familie, die ernährt werden will, häufig muß im Sommer das Geld für den kompletten Winter herangeschafft werden - ohne entsprechende Einnahmen aus Ausflugprovisionen geht das nicht.
Sicherlich kann und darf das nicht die Sorge des Gastes sein und ganz bestimmt darf ein Reiseleiter sich nicht ausschließlich auf den Ausflugsverkauf konzentrieren - auch der restliche Service MUSS stimmen. Häufig kann ich über Reiseleitungen, die hier teilweise von Usern beschrieben werden und die ich in den Zielgebieten sehe (auch das Beispiel von Erika gehört dazu - komplette Uniform ist am Flughafen und im Begrüßungstreff PFLICHT, genauso, wie Gäste nicht einfach so geduzt werden sollen :shock:), auch nur den Kopf schütteln. Ich möchte die reinen "Ausflugsverkäufer" an dieser Stelle auch keinesfalls in Schutz nehmen, sondern lediglich einen kleinen Einblick in die Hintergründe geben. Es ist bei Weitem nicht so (wie hier häufig behauptet wird), daß diese sich "dumm und dämlich verdienen und die Taschen mit Geld vollschaufeln" - sie brauchen das Geld einfach, um ihren normalen Lebensunterhalt zu bestreiten.